Der Sturm zieht auf
Rein kommt man in den Fiskalpakt also schneller, als man denkt. Raus dafĂŒr gar nicht mehr. Es sei denn, tatsĂ€chlich durch eine Revolution. Aber das lieĂe sich mit einer kleinen Nachbesserung durchaus vermeiden: Nimmt man sich etwa das MAI (Multilaterales Abkommen ĂŒber Investitionen, gescheitertes OECD-Abkommen) zum Vorbild, dann könnte ein Unternehmen auch einen Staat wegen Revolution verklagen. Enteignungen bedeuten schlieĂlich Gewinnverlust.
Ob der Fiskalpakt nun auf die Staaten der Eurozone (was auch immer das in Zukunft sein mag) groĂen Einfluss hat, sei durchaus dahingestellt. Die eingebaute âSchuldenbremseâ lĂ€sst sich durchaus in âNotsituationenâ umgehen. Er gibt den Regierungen â oder auch der europĂ€ischen Finanzoligarchie â allerdings ein permanentes Argument und Instrument fĂŒr Lohndumping, SozialkĂŒrzungen, ArbeitszeitverlĂ€ngerungen etc. in der Hand. Der Fiskalpakt ist Hartz IV auf europĂ€ischer Ebene.
WĂ€hrend sich das Bundesverfassungsgericht die Köpfe zerbrechen sollte â sie aber letztlich nur heiĂ redet â ob das denn nun noch grundgesetzkonform ist oder aber ob, wie einige KlĂ€gerInnen durchaus argumentieren, hier sogar GG Art.20, Abs.4 â das Widerstandsrecht â greifen wĂŒrde, ist es in den Medien um die Weltwirtschaftskrise momentan seltsam still. Man könnte meinen, das Sommerloch sei ein Sachzwang, selbst wenn es eigentlich etwas zu berichten gĂ€be.
Eine Ausnahme bilden dabei natĂŒrlich die WirtschaftsblĂ€tter, denn es ist ja deren ureigenstes GeschĂ€ft, ĂŒber wirtschaftliche ZusammenhĂ€nge zu berichten. Manchmal erfĂŒllen sie diesen Anspruch sogar.
So bat etwa das Handelsblatt vor einigen Tagen den Ăkonomen Nouriel Roubini, einige Fragen zu beantworten. Roubini gilt als Star, denn er hat das offenbar so schwierige KunststĂŒck vollbracht, die Krise vorauszusagen. Diesmal sagt er das Ende des Euros voraus. Das hat zwar Immanuell Todd auch schon fĂŒr das Jahr 2012 angekĂŒndigt, aber Roubini wird noch etwas konkreter: In drei bis sechs Monaten ist er weg, der Euro. Auch deswegen, weil die griechische Regierung erneut kollabieren wird. Das beste, was den GriechInnen wahrscheinlich passieren kann, denn diese Regierung wird âJaâ zum Fiskalpakt sagen und höchstens ein wenig auf Zeit spielen.
Man kann Roubini soweit zustimmen. Wem man gar nicht zustimmen kann, ist der Interviewer Thomas Jahn. Der ist u.a. der Meinung, dass man doch keine Euro-Bonds akzeptieren könne, denn âman will nicht das Geld der Deutschen in Gefahr bringen, das sie in sechs Jahrzehnten mĂŒhsam anspartenâ. MĂŒhsam angespart? Entschuldigung, Herr Jahn: Das deutsche Wirtschaftswunder wurde deswegen möglich, weil sich deutschland um nahezu sĂ€mtlicher seiner Schulden aus dem Ersten und Zweiten Weltkrieg trickreich gedrĂŒckt hat. Karl Heinz Roth rechnet das in seiner Flugschrift zu Griechenland plausibel vor. Das so eingesparte Geld lieh man â wie die US-Amerikaner ihre Petrodollars an Lateinamerika â zu vermeintlich gĂŒnstigen Konditionen z.B. an Griechenland, damit die Griechen sich schöne deutsche Panzer und U-Boote kaufen konnten. Die wiederum hat Deutschland gĂŒnstig bauen können, indem es immer schön die Löhne runterschraubte â nirgendwo auĂer hier sind die Reallöhne im letzten Jahrzehnt gesunken.
Aber darunter versteht Herr Jahn: Hausaufgaben gemacht. âDeutschland [âŠ] reformierte den Arbeitsmarkt, arbeitet hart, lebt nicht ĂŒber die VerhĂ€ltnisseâ. Das âĂber-die-VerhĂ€ltnisse-lebenâ, das stört ihn besonders. Und er wundert sich: âTrotzdem ist es [Deutschland] der böse Bube?â Roubini hĂ€tte eigentlich mit Alfons Schubeck antworten mĂŒssen: âEben. Drum.â Aber immerhin, wenn Jahn auf die faulen und lĂŒgenden Griechen schimpft, dann kann Roubini ihm wenigstens entgegenhalten: âDu meine GĂŒte. Sie haben gelogen, weil die Investmentbanken dieser Welt ihnen das geraten haben [âŠ]. Als ob ihnen niemand Geld geliehen hĂ€tte, wenn das wahre Haushaltsdefizit bekannt gewesen wĂ€reâ. Und dann wird er ganz direkt: âSpielen Sie jetzt nicht den Heiligen, denn ihr seid nicht heiliger als der Rest. Ihr habt eure Interessen verfolgt und die Augen vor dem Sumpf verschlossenâ.
Da ist er aber schon zu mild mit Deutschland. Momentan ist dieses Land böser als der Rest. Mitleid mit der griechischen Bevölkerung kennt Merkel letztendlich noch weniger als IWF-Chefin Lagarde. FĂŒr Merkel zĂ€hlt das Wohl des eigenen Landes, die eigene Wirtschaftskraft. Das ist ihre StaatsrĂ€son. Kurz: Angela Merkel ist die perfekte zeitgemĂ€Ăe Nationalistin. Und wenn sich Roubinis andere Voraussage erfĂŒllen sollte, dass nĂ€mlich nach dem Kollabieren der aktuellen griechischen Regierung die Syriza die Macht ĂŒbernimmt, dann stehen binnen einen Jahres europĂ€ische Truppen in Griechenland. Die ersten Forderungen nach einem EU-Protektorat wurden ja schon wĂ€hrend des Wahlkampfes laut...
Sollte es anders kommen und sollte es tatsÀchlich gelingen, den Euro zu stabilisieren (die nÀchste Krisenwelle in den BRIC-Staaten steht schon an), dann wird sich die Dollar-Euro-Konkurrenz verschÀrfen. Was dann passiert, ist erst mal offen, aber auch dieser Konflikt könnte irgendwann militÀrisch ausgetragen werden. Und das könnte sogar unangenehmer werden als ein binneneuropÀischer Krieg.
Nichtsdestotrotz â fĂŒr Griechenland, wie auch fĂŒr die anderen sĂŒdeuropĂ€ischen Staaten, die sich der europĂ€ische Machtkern um Deutschland in AbhĂ€ngigkeit hĂ€lt, bleibt nur dieser eine Ausweg, der von christlichen ĂŒber sozialistische bis hin zu anarchistischen TheoretikerInnen immer wieder betont wird: Die radikale und totale Entschuldung. Ein tatsĂ€chliches âWir zahlen nicht mehr fĂŒr eure Kriseâ. Das hat in der Vergangenheit schon mehrfach gut funktioniert, Russland hat ab 1917 den Schuldendienst nicht mehr bedient, Argentinien hat 2002 aufgehört, an den IWF zu zahlen. Die sĂŒdeuropĂ€ischen Eliten wollen das nur genauso wenig wie die deutsche Elite, denn es ist ihr Geld, von dem da die Rede ist. Und auĂerdem möchte man sich vielleicht neues leihen.
Europa bietet fĂŒr die sĂŒdeuropĂ€ischen Staaten keine Perspektive. Die Idee ist â zumindest fĂŒrâs erste â gescheitert. War ja eigentlich so, als Ăberwindung des Nationalismus, eine ganz nette Idee, soân föderaler Kontinent. Aber nur weil in Griechenland mal eine Frau namens Europa auf einem weiĂen Stier geritten ist, muss man sich ja nicht unbedingt diesem Kontinent â und schon gar nicht den geifernden geldgeilen Deutschen â verpflichten. Griechenland gilt doch auch als Wiege der Demokratie, da könnte man es ja mal mit den Staaten halten, die auch gerade beginnen, Demokratie zu erleben â statt mit denen, fĂŒr die Demokratie nur noch Makulatur ist, eine faule Ausrede, um die Interessen des Kapitals durchzusetzen.
Doch was wĂ€re eine realistische bzw. realpolitische Alternative? Womöglich ein (sozialistisches) BĂŒndnis der Mittelmeerstaaten? Eines, das durchsetzen wĂŒrde:
- Es wird kein Pfennig Schulden mehr zurĂŒckgezahlt.
- Progressive Einkommenssteuer bis 90 Prozent.
- EinfĂŒhrung einer Vermögenssteuer.
- Enteignung der Banken und Konzerne, Vergesellschaftung.
- GröĂtmögliche Reduzierung der Mehrwertsteuer.
- Maximale Preisreduzierung fĂŒr elementare GĂŒter und Dienstleistungen.
- EinfĂŒhrung von Kapitalverkehrskontrollen.
- Bedingungsloses Grundeinkommen.
- Radikale ArbeitszeitverkĂŒrzung bei vollem Lohnausgleich.
- Abschaffung des Euro.
- Ăffnung des Mittelmeerraums fĂŒr den freien Menschenverkehr.
Das alles wĂ€ren reformistische MaĂnahmen. Aber sie wĂ€ren schon radikal genug, um das Potential fĂŒr internationale Konflikte zu steigern, womöglich bis hin zum Krieg (das klassische Mittel zur Kapitalvernichtung, die wiederum die einzige kapitalismusimmanente Krisenlösung darstellt). Doch ein solches BĂŒndnis ist derzeit nicht in Sicht. Sicher aber ist: LĂ€uft die momentane Situation auf einen starken Kerneuro hinaus, dann wird es schwer, sich in einem US-europĂ€ischen Konflikt fĂŒr eine Seite zu entscheiden. In einem innereuropĂ€ischen Konflikt wĂ€re die Entscheidung einfach. FĂŒr Deutschland kann man gar nicht sein, wenn man ArbeiterIn ist.